Der Koalitionsvertrag: Chance für einen Solar-Boom?
Für die Solarenergie ist der Koalitionsvertrag eine echte Zeitenwende: Solch große Ziele gab es schon lange nicht mehr. Die großen Versprechen brauchen allerdings schnelle Umsetzung. Denn handelt die Politik nicht schnell genug, droht trotzdem eine Solardelle.
Die Ampel-Koalition hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: 200 Gigawatt (GW) Photovoltaik bis 2030. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren insgesamt nur 54 GW installiert. Das bedeutet also fast eine Verdreifachung der installierten Kapazität in weniger als zehn Jahren.
Schaffen will die Koalition dieses Projekt durch eine Reihe an Maßnahmen:
Sie will Netzanschlüsse für Solaranlagen beschleunigen – bisher ein bürokratischer, zäher Formularkrieg, denn bei jedem der knapp 900 Netzbetreiber gelten andere Regeln, die Anträge müssen oft auf Papier abgegeben und können nicht automatisiert eingepflegt werden, und mancher Netzbetreiber lässt sich gern Zeit bei der Genehmigung. Das frustriert Kunden und Solarfirmen gleichermaßen. Gut, dass die neue Regierung hier die Verfahren beschleunigen will.
Der Koalitionsvertrag sieht auch vor, die Vergütungssätze durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) „anzupassen“ und spricht in diesem Zusammenhang auch davon, „die Deckel zu prüfen“. Gemeint ist wohl u.a. eine Reform des „atmenden Deckels“ im EEG: Dieser Deckel senkt die Vergütung für ins Netz eingespeisten Solarstrom jeden Monat kontinuierlich ab (Degression). Ist ein bestimmtes Ausbauziel erreicht, sinkt die Vergütung noch schneller; wird das Ausbauziel verfehlt, sinkt die Vergütung nicht oder steigt sogar.
Das Problem bei diesem Mechanismus ist indes, dass der Zubaupfad momentan viel zu niedrig ist, um die energie- und klimapolitischen Ziele zu erfüllen – und weil der Zubaupfad so niedrig ist, wird er nahezu immer erreicht. In der Konsequenz sinken die Vergütungssätze rapide und sind längst nicht mehr kostendeckend. Eine Priorität der neuen Regierung muss es daher sein, diesen Deckel nicht nur zu „prüfen“, sondern binnen der ersten 100 Tage an die aktuellen Ausbauziele anzupassen und schneller auf den Markt reagieren zu lassen. Bei geplanten ca. 140 GW zusätzlicher Leistung, wovon wohl die Hälfte auf die für den Deckel relevante Dach-Solarleistung entfällt, müsste der Zubaupfad daher bei knapp 8 GW pro Jahr liegen – statt nur 2,5 GW wie bisher.
Die Reform des atmenden Deckels drängt umso mehr, als auch die EEG-Umlage schon im Jahr 2023 vollständig wegfallen werden soll – so sieht es zumindest der Koalitionsvertrag vor. Bisher wurden die Vergütungen der Erneuerbaren Energien über diesen Aufpreis auf den Strompreis finanziert. Das machte Strom teurer, und damit den selbstproduzierten Solarstrom entsprechend finanziell attraktiv: Denn mit dem eigenen Strom vom Dach sparte man die hohen Stromkosten. Wird die Umlage nun aus dem allgemeinen Steuertopf finanziert, sinkt der Strompreis.
Das ist zwar gut für Haushalte und kleine Betriebe, die über hohe Strompreise klagen. Aber es bringt zugleich kleine Solar-Dachanlagen unter Druck, denn diese lohnten sich bislang vor allem aufgrund der hohen Strompreise. Um den Wegfall der EEG-Umlage auszugleichen, müssten Engpässe bei Kohle, Atom und Gas oder der Europäische Emissionshandel den Börsenstrompreis in die Höhe treiben. Geschieht dies nicht, und zieht sich zugleich die Reform des atmenden Deckels, würde die sehr schnelle Abschmelzung der EEG-Umlage binnen nur einen Jahres die Solarenergie erheblich unter Druck setzen. Selbst eine Delle beim Solarausbau wäre dann möglich – und würde die ambitionierten Ausbauziele schon am Anfang konterkarieren. Etwas mehr Zeit für die Entwicklung einer neuen Marktordnung sollte sich die Politik wohl zugestehen, um nicht ungewollte Kollateralschäden auszulösen.
Ein Lichtblick ist das Bekenntnis der Koalition zur Bürgerenergie: Energy Sharing und Quartierskonzepte sollen vereinfacht werden, und Mieterstrom in Mietshäusern sollen endlich erleichtert werden..
Eine Solarpflicht soll es nur geben für gewerbliche Neubauten. Für private Neubauten soll Solarenergie dagegen „die Regel werden“ – ein unverbindlicher Formelkompromiss, da die FDP keine Pflicht mittragen wollte. Die Solar-Branche selbst war hier aber ohnehin skeptisch: Solar-Startups wie Enpal oder auch Lobbyvereine wie der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) sehen die Solarpflicht eher als sechsten statt als ersten Schritt für den Erfolg der Solarenergie. Denn: Wenn Solaranlagen sich wirtschaftlich tragen und nicht von bürokratischen Hemmnissen gebremst werden, dann ist eine Solarpflicht unnötig.
Insgesamt verspricht der Koalitionsvertrag einen echten Paradigmenwechsel in der Energiepolitik. Zwar gibt es manche Unsicherheiten, aber insgesamt ist klar erkennbar, dass die Ampel den Ausbau der Solarenergie endlich vorantreiben will. Die bürokratischen Fesseln zu lösen und kleinen Betreibern (Prosumern) mehr Beinfreiheit zu geben, kostet kein Geld und hat trotzdem eine große Wirkung. Die nötigen Maßnahmen sind lange bekannt, wurden aber immer blockiert, und werden jetzt endlich angegangen.
Die großen Versprechen fordern jetzt eine schnelle Umsetzung. Wenn der Koalitionsverträge geduldiges Papier bleibt, kann aus dem Solarboom schnell eine Solardelle werden.